Allgemeine Grundsätze des niederländischen Vertragsrechts
Das niederländische Vertragsrecht beruht auf dem Grundsatz der Privatautonomie: Die Parteien haben weitgehende Freiheit, ihre Rechtsverhältnisse nach eigenem Ermessen zu gestalten. Diese Vertragsfreiheit wird jedoch durch Gesetz, öffentliche Ordnung und die guten Sitten begrenzt. Für ausländische Unternehmer, die in den Niederlanden geschäftlich tätig sind oder mit niederländischen Vertragspartnern kooperieren, ist es wesentlich, die Grundpfeiler dieses Systems zu verstehen. In diesem Beitrag erläutere ich die wichtigsten Grundsätze des niederländischen Vertragsrechts.
Vertragsfreiheit als Leitprinzip
Das niederländische Bürgerliche Gesetzbuch (Burgerlijk Wetboek – BW) kennt das Prinzip der Vertragsfreiheit: Die Parteien können grundsätzlich frei entscheiden, ob, mit wem und zu welchen Bedingungen sie einen Vertrag schließen (Art. 3:33 und 6:217 BW). Diese Freiheit gilt sowohl für den Inhalt als auch für die Form des Vertrags, es sei denn, das Gesetz schreibt etwas anderes vor. Eine Schriftform ist also in der Regel nicht erforderlich, es sei denn, eine besondere gesetzliche Regelung (z. B. beim Fernabsatzvertrag mit Verbrauchern) verlangt dies.
Konsensualprinzip: Übereinstimmender Wille genügt
Ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande (Art. 6:217 BW). Das niederländische Recht folgt dem sogenannten Konsensualprinzip: Sobald Einigkeit über den wesentlichen Vertragsinhalt besteht, entsteht ein rechtsgültiger Vertrag. Das bedeutet, dass ein Vertrag auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten zustande kommen kann. In der Praxis ist es jedoch ratsam, Vereinbarungen schriftlich festzuhalten, um Beweisprobleme zu vermeiden.
Allgemeine Geschäftsbedingungen
Wenn eine Partei möchte, dass ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Bestandteil des Vertrags werden, muss auch darüber eine Willensübereinstimmung bestehen. Das niederländische Recht geht hierbei jedoch von einer Fiktion aus: Es ist nicht erforderlich, dass die andere Partei die AGB tatsächlich gelesen hat. AGB sind dann Vertragsbestandteil, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
- Einbeziehung: Der Verwender muss die AGB ausdrücklich oder stillschweigend vor oder bei Vertragsschluss für anwendbar erklären.
- Zurverfügungstellung: Die AGB müssen der anderen Partei vor oder bei Vertragsschluss zur Verfügung gestellt worden sein.
Vertrauensgrundsatz und Rechtsscheinerklärung
Neben dem tatsächlichen Willen der Parteien spielt das berechtigte Vertrauen der anderen Partei eine zentrale Rolle. Eine Partei kann an eine Erklärung gebunden sein, wenn die andere Partei diese nach den Umständen vernünftigerweise als Angebot oder Annahme verstehen durfte (HR 3. November 1944, ECLI:NL:HR:1944:AG1917 – Haviltex-Maßstab). Dies wird auch als Vertrauensgrundsatz bezeichnet. Besonders für internationale Parteien ist dies mitunter überraschend, da subjektive Absichten nicht immer ausschlaggebend sind.
Grundsatz von Treu und Glauben
Ein grundlegendes Merkmal des niederländischen Vertragsrechts ist die ergänzende und korrigierende Wirkung von Treu und Glauben (Art. 6:2 und 6:248 BW). Diese offene Norm kann in Ausnahmefällen dazu führen, dass:
- Vertragsergänzung erfolgt: Wenn Regelungen fehlen, kann das Gericht bestimmen, was die Parteien nach Treu und Glauben voneinander erwarten durften.
- Vertragliche Bestimmungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden: Eine vertragliche Klausel kann unanwendbar sein, wenn ihre Anwendung nach den Umständen des Falls unzumutbar wäre.
Diese Flexibilität führt auch zu Rechtsunsicherheit. Vertragspartner sollten dies bei der Gestaltung ihrer Verträge, insbesondere bei der Formulierung von AGB, berücksichtigen.
Zwingendes und halb-zwingendes Recht
Nicht alle Vertragsbestimmungen sind frei verhandelbar. Das niederländische Recht kennt auch zwingendes Recht: Vorschriften, von denen nicht zum Nachteil einer Partei abgewichen werden darf – häufig zum Schutz schwächerer Parteien wie Verbraucher oder Mieter. Daneben existiert halb-zwingendes Recht, von dem nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden darf (z. B. an Hand von einer schriftlichen Vereinbarung). Unternehmer sollten im Vorfeld prüfen, ob sie sich mit solchen Vorschriften konfrontiert sehen.
Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsauflösung
Bei Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung (Vertragsverletzung, Art. 6:74 BW) stehen der geschädigten Partei verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung:
- Erfüllung verlangen;
- Schadensersatz fordern;
- Vertragsauflösung erklären (Art. 6:265 BW), sofern die vertragliche Pflichtverletzung dies rechtfertigt.
In der Regel ist eine Mahnung (Inverzugsetzung) erforderlich, bevor diese Rechtsmittel geltend gemacht werden können.
Fazit
Das niederländische Vertragsrecht bietet Unternehmen ein flexibles und transparentes Regelwerk zur Gestaltung ihrer geschäftlichen Vereinbarungen. Gleichzeitig kennt das System einige offene Normen – wie Treu und Glauben –, die gerichtliche Auslegung ermöglichen. Ausländische Unternehmer sollten sich daher frühzeitig rechtlich beraten lassen, bevor sie Verträge nach niederländischem Recht abschließen.
Unsere deutschsprachigen Anwälte für Vertragsrecht in den Niederlanden
Da unsere Kanzlei, mit Sitz in Amsterdam, (fast) ausschließlich Mandanten in Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug vertritt, verfügen wir diesbezüglich über eine langjährig aufgebaute Expertise. Dabei haben wir uns auf deutsch-niederländische Angelegenheiten spezialisiert. Selbstverständlich kommunizieren wir dabei mit ihnen auf Deutsch und weisen Ihnen gerne den Weg innerhalb der deutsch-niederländischen Rechtslandschaft.
Gerne können Sie unverbindlich mit Herrn Rechtsanwalt Pieter Bosma (p.bosma@berlinger.nl) oder der Juristin Frau Gabriela Rose (g.rose@berlinger.nl) Kontakt aufnehmen.